Gibt
es einen Zusammenhang zwischen der Verweildauer von Kindern im Heim und ihren
Schulabschlüssen? |
Eine
notwendige Vorbemerkung Die Datenanalyse aller vom Januar 1969 bis zum August
2003 entlassenen Heimbewohner aus einem Heim "A" ergab in Bezug auf
die Verweildauer und die Schulabschlüsse einige interessante Ergebnisse.
Ich möchte voraus schicken, dass sich ein "Erfolg von Heimerziehung"
nur dann messen lässt, wenn man quantifizierbare Daten, wie die während
des Heimaufenthalts erworbenen Schul- oder Berufsabschlüsse, erfassen kann.
Andere Faktoren, die einen Erfolg darstellen könnten, müssten aus dem
jeweils letzten Hilfeplan, den Abschlussberichten und durch Erhebungen bei den
"Ehemaligen" ermittelt werden. Ob
und wieweit derartige qualitative Aussagen mit dem späteren "Lebenserfolg"
in Verbindung gebracht werden könnten, müsste das betreffende Kind jeweils
als Erwachsener selbst entscheiden. Recherchen darüber, was aus ehemaligen
Heimkindern später "geworden" ist, und ob und in welchem Ausmaß
diese selbst ihren Heimaufenthalt im Rückblick als hilfreich erlebten, ist
allein darum sehr schwer zu ermitteln, weil zu vielen dieser herangewachsenen
Frauen und Männern der Kontakt verloren geht. Allerdings gibt es Botschaften,
die uns über die Besucherseite auf unserer Homepage erreichen von denen nicht
wenige sehr freundlich sind. Allerdings sagen derartige Gesten und Bekundungen
nichts über den "Lebenserfolg" - zum Beispiel gemessen an ökonomischen
Standards, beruflicher Position o. dgl. - aus. Und wenn es Studien gibt, die den
Stationären Hilfen eine volkswirtschaftliche Effizienz bescheinigen, dann
können derartige Ergebnisse die Motivation eines Heimerziehers zwar beflügeln:
uns interessiert aber zunächst einmal, ob wir ihnen zu einem soliden Fundament
für ihre spätere Entwicklung haben verhelfen können. Und
dafür bleiben nur jene Daten, die sich auf den Aufenthalt bei uns beziehen.
Und hier sind, angesichts ihrer Bedeutung, die sie bereits im Begrüdnungszusammenhang
mit der Hilfemaßnahme besaßen, die erreichten Schulabschlüsse
ein allerdings sehr gewichtiges Erfolgskriterium. Gerade weil der deutlich überwiegende
Teil aller Kinder, die wir aufnahmen, wegen ihrer schulischen Probleme Hilfe brauchte,
wiegt unsere Leistung doppelt schwer, wenn wir mit dem Kind einen lückenlosen
Schulbesuch und gar einen Schulabschluss erreichen. Zunächst
einige Zahlen in der folgenden Übersicht (Alter und Verweildauer in Jahren
und Monaten): |
Zeitraum |
Buben |
Mädchen |
gesamt |
Aufnahmealter |
durchschn.
Verweildauer | 1969
- 1978 | 41 |
12 |
53 |
11,9 |
3,6 |
1979
- 1988 | 50 |
23 |
73 |
11,2 |
5,6 |
1989
- 1998 | 46 |
23 |
69 |
10,9 |
5,4 |
1999
- 2003 | 46 |
16 |
62 |
11,6 |
4 |
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Insgesamt wurden von 1969 bis Juli 2003 268 Kinder entlassen. Von diesen 268
Kindern erreichten 168 den ihnen möglichen Schulabschluss während ihres
Aufenthaltes in unserem Hause. Das sind fast zwei Drittel (63 %).
Von
den insgesamt 286 Kindern erreichten 100 keinen Schulabschluss in unserem Hause,
weil diese Kinder zum Zeitpunkt der Beendigung ihrer Schulzeit nicht mehr bei
uns waren. |
Bilanzierend
lässt sich festhalten: Jedes Kind, das in unserem Hause bis zum Ende
seiner Schulbesuchszeit an den Haupt- Sonder- oder Realschulen in unserem Hause
lebte, hat die jeweiligen Abschlüsse auch erreicht. Kinder, die nur ein Abgangszeugnis
erhalten konnten, erwarben anschließend den Hauptschulabschluss in einem
Berufsvorbereitungsjahr. |
Betrachtet
man die durchschnittliche Verweildauer dieser Gruppen, errechnet sich folgender
bemerkenswerter Zusammenhang: Die
Kinder, die einen Schulabschluss erreichten, waren im Durchschnitt sechs Jahre
bei uns. Die
Kinder die keinen Schulabschluss erreichen konnten, waren im Durchschnitt zwei
Jahre und einen Monat bei uns. Allerdings
besteht hier kein qualitativer Zusammenhang etwa in der Art: Je länger
ein Kind im Heim ist, um so eher wird es den Schulabschluss erreichen. Der
hier ermittelte statistische Zusammenhang erklärt sich viel mehr mit dem
Alter der Kinder bei der Heimaufnahme. Die von uns aufgenommenen Kinder waren
am Tag ihres Heimeintritts im Durchschnitt elf Jahre und drei Monate alt und damit
- statistisch gesehen - im fünften bis sechsten Schuljahr. Wenn sie also
bei uns einen Schulabschluss erreichen wollten, mussten sie wenigstens vier bis
fünf Jahre bleiben. Bei der deutlich höheren durchschnittlichen Verweildauer
von sechs Jahren ist zu berücksichtigen, dass es viele Kinder gab, die bereits
im Grundschulalter zu uns kamen und deutlich weniger, die erst im achten oder
zum neunten Schuljahr eintraten. Immerhin gab es jene Einzelfälle, bei denen
die Zielvereinbarung lautete, einen Jungen oder ein Mädchen noch ein bis
anderthalb Jahre bis zum Hauptschulabschluss zu führen. |
Was
sich über die Verweildauer von Kindern unter den gegenwärtigen Bedingungen
in der Jugendhilfe am Beispiel eines Kinderheimes noch sagen lässt, das schauen
Sie bitte nach unter dem Thema: "Kinder
kommen zu kurz" |
Die Tendenz ist
unverkennbar, dass inzischen rund die Hälfte einer Aufnahmepopulation aus
dem Heim herausgenommen wird, ohne dass die im Hilfeplan in der Regel vereinbarten
Ziele erreicht werden. Möglicher
Weise gehört ein erfolgreicher Schulbesuch nicht mehr zu den Zielvorstellungen
der Antragsteller für erzieherische Hilfen beziehungsweise ist für die
beteiligten Personensorgeberechtigten, Fachdienste und Jugendamtsmitarbeiter von
sekundärer Bedeutung. Das
durchschnittliche Aufnahmealter hat sich dagegen nicht erhöht. Das heißt,
dass die Kinder, die im Heim "A" aufgenommen wurden, nach wie vor im
Durchschnitt etwas über elf Jahre alt sind. Die
verantwortlichen Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen in den Heimen
sollten gemeinsam mit den Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern in den Jugendhilfebehörden
anstreben, dass in Hilfeplänen konkrete, unschwer nachprüfbare Zielvereinbarungen
aufgenommen werden, unter denen schulische Laufbahnziele (z. B. ein bestimmter
Schulabschluss oder Versetzung in die nächst höhere Klasse) unbedingt
hineingehören. Allein schon darum, weil derartige Ziele, wie die hier vorliegende
Untersuchung zeigt, am ehesten die Ergebnisse der Bemühungen aller Beteiligten
nachweisen können. Außerdem betrachte ich einen erfolgreichen Schul-
oder gar einen Berufsabschluss, der ausschließlich oder überwiegend
unter den Bedingungen im Lebensbereich Heim erreicht worden ist, als einen ganz
zentralen Indikator für den Erfolg einer Erziehungshilfe nach § 34 KJHG
/ SGB VIII, wie sie auch für die Effiziensforschung bedeutsam ist beziehungsweise
sein müsste. (Vgl.
dazu den Aufsatz: Erfolg und Misserfolg in der Heimerziehung. Ergebnisse und Erfahrungen
aus der Evaluation Erzieherischer Hilfen (EVAS)" von Michael Mascenoere und
Gerhard Schemenau in: Unsere Jugend 1/2008, S. 26 - 33). Erst
eine qualitative Analyse könnte Licht in die Hintergründe bringen warum
der Heimaufenthalt bei unverändert gebliebenen Begründungen für
die Hilfemaßnahme - nachweisbar allein an den vielfältigen schulischen
Defiziten wie Leistungsverweigerungen, Verhaltensauffälligkeiten und andere
Formen der Schulverweigerung - beendet wird, obwohl sich in Bezug auf das Lern-
und Sozialverhalten der Kinder nichts oder nur wenig geändert hat.
©
Dr. Joachim Rumpf erste Bearbeitung: 30.04.2004 überarbeitet 15.02.2008 |
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