An
die
Mitglieder der Redaktion der Badischen Zeitung in Freiburg
und in
den Regionalredaktionen
Betrifft:
Elternbildung als Gegenstand öffentlichen Interesses nach der PISA-Studie
Sehr geehrte Damen und Herren,
am gestrigen Tage widmeten Sie dem Thema "Elternbildung"
aus aktuellem Anlass einige Überschriften und Beiträge. Sie können
sich denken, dass nichts von dem, über das die Regierung da öffentlich
nachdenkt, den Fachleuten neu ist. Dass eine Elternbildungsinitiative im Land
auf den Weg gebracht werden soll, ist Wert, bemerkt und unterstützt zu werden.
Ob wir in den Landkreisen und Städten etwas davon verspüren werden,
bleibt abzuwarten.
In unserem Landreis Waldshut haben wir auf Regierungs-
und Behördeneinsichten nicht gewartet, sondern gingen - von der Öffentlichkeit
kaum zur Kenntnis genommen - einen eigenständigen Weg in der Organisation
von flächendeckenden Elternbildungsangeboten. Da ich mich in den vergangenen
Jahren darum bemüht hatte, Verbindungen zu ähnlichen Initiativen (außerhalb
der Volksbildungswerkangebote) in benachbarten Landkreisen und in Freiburg herzustellen
und dort nichts dergleichen fand, gehe ich davon aus, dass wir die einigen sind,
die Elternbildung von Eltern und gemeinsam mit Eltern organisierten. Bitte lesen
Sie dazu meinen Bericht!
Mit
besonderem Erfolg kann in unserem Landkreis Waldshut auf die Familien- bzw. Elternarbeit
nach § 16 KJHG (1) geschaut werden. Dazu die folgenden Informationen:
1.
Obwohl im KJHG der Hilfen für die Familien besonderes Augenmerk geschenkt
wurde, fanden sich in unserem Landkreis bis in die neunziger Jahre hinein keine
Anbieter, die dem § 16 (1) entsprechende Anregungen aufgegriffen und in die
Praxis umgesetzt hätten. In den Sitzungen des Kreisjugendhilfeausschusses
waren immer wieder die gleichen Klage über mangelhafte prophylaktische Leistungen
zu hören und es wurde dabei vor allem auf den Allgemeinen Sozialdienst des
Jugendamtes gedeutet. Keiner der im Landkreis vertretenen Wohlfahrtsverbände
bemühte sich darum, in systematischer Weise Angebote der Familienbildung
einzurichten, die, wie es im Gesetz heißt, "auf Erfahrungen von Familien
in unterschiedlichen Lebenssituationen eingehen...". Ich war als "Experte"
in diesen Ausschuss gewählt worden und wollte diese Lücke schließen.
Mein Verdacht, den natürlich niemand bestätigen wollte, war und ist:
mit derartigen Angeboten lassen sich keine Stellen schaffen, keine Einrichtungen
finanzieren. Günstigenfalls bekommt ein Veranstalter seine Sach- und Personalkosten
ersetzt, wenn im Haushalt von öffentlichen Jugendhilfeträgern hierfür
Mittel eingestellt werden. Am Anfang unserer Tätigkeit stand also eine ganz
persönliche Initiative. Einige Fachleute waren zu finden, die bereit sein
würden, Elternseminare zu begleiten, deren Konzept sich an dem Auftrag des
KJHG orientieren. Wie fachlich sollten die Fachfrauen und Fachmänner für
Erziehungsfragen sein? Als Vorraussetzungen waren eigene Erfahrungen in der Rolle
als Eltern und die beruflicher Erfahrungen als Schul- oder Sozialpädagoginnen
mit beruflicher Praxis gefragt. Es leben in jeder städtischen oder ländlichen
Region einige Fachkräfte, die aus familiären Gründen ihren Beruf
nicht ausüben und gern bereit sind, ein derartiges Vorhaben zu unterstützen.
2.
Eine Gruppe von fünf Frauen und einem Mann trafen sich seit 1996
und in privater Umgebung regelmäßig, um ein Konzept für die Durchführung
von Elternseminaren auszuarbeiten. In einem Faltblatt, das an Kindergärten,
Schulen und Bildungswerke geschickt wurde, hieß es über die Aufgaben
und Ziele der Initiative:
"... Ergänzend zu den bestehenden Vortragsveranstaltungen
von Bildungswerken sollen in möglichst vielen Gemeinden des Landkreises Elternseminare
zu Themen über die Erziehung und Bildung von Kindern eingerichtet werden.
Der Wunsch nach einem derartigen Angebot wurde einmal von Eltern selbst in zahlreichen
Elternabenden zu pädagogischen Themen als auch von Erzieherinnen der Kindergärten
und von Lehrerinnen und Lehrern im Landkreis Waldshut ausgesprochen. In diesen
Gesprächskreisen können sich Eltern über ihre Erfahrungen miteinander
austauschen und einige zusätzliche Informationen erhalten. Verhaltenssicherheit
für ihren Alltag mit Kindern und für eine gute Zusammenarbeit mit den
anderen an der Erziehung und Bildung beteiligten Institutionen zu erwerben, gehört
zu den Aufgaben der Elternseminare. Außerdem werden folgende Ziele angestrebt:
Reduzierung oder Beseitigung von Erziehungsunsicherheiten ausgehend von der bisher
geübten Praxis in den Familien. Darüber hinaus sollen die Teilnehmerinnen
und Teilnehmer dazu ermutigt werden, selbst in einer ihnen wichtigen Weise weiterzuarbeiten
(z.B. Elternkreise, Mutter-Kind-Gruppen u.ä.)..."
Natürlich
gab es keine organisatorischen Vorbilder, auf die wir hätten uns stützen
können. Wir hatten aber unsere Erfahrungen mit Elternabenden in Kindergärten
und Schulen und wussten, dass es nicht leicht sein würde, Eltern zu erreichen,
wenn es um Erziehungsfragen geht. Darum legten wir von Anfang an Wert darauf,
dass die Eltern beziehungsweise die Elternvertretung einer Kindertagesstätte
oder einer Schule selbst unter den Eltern für ein Seminar oder einen Vortragsabend
werben und auch vor Ort nach jenen Inhalten fragen, die den Eltern dort auf den
Nägeln brennen und Ort und Zeiten bestimmen. Die Güte einer derartigen
Seminarfolge oder eines Elternabends entschied über die Fortsetzung oder
eine Neuauflage. Damit wir uns davon überzeugen konnten, ob wir auf einem
von Eltern akzeptierten Weg befanden, wurde jeder Veranstaltung mit einer kurzen
schriftlichen und anonymen Befragung abgeschlossen.
Zu den Themen, die von
Anfang an angeboten wurden, gehörten das Lernen für die Schule, kindliche
Aggressionen und der Umgang mit elektronischen Medien.
3.
Die sehr unterschiedlichen beruflichen Vorkenntnisse, die jede der Fachfrauen
mit brachte und unsere Erfahrungen aus den Veranstaltungen, flossen ein in eine
selbst entwickelte "Didaktik der Elternbildung". Da ich als Moderator
unserer Gespräche alles dokumentierte, boten die Protokolle unserer Arbeitssitzungen
die Materialbasis für diese eigenwillige Didaktik an.
Selbstverständlich
trafen wir uns in unserer freien Zeit und eine Vergütung erhielt niemand.
Unsere Motive wurzelten in unserer Überzeugung, dass Eltern Hilfe brauchten
und wollten. In dem Ausmaß, in dem die Veranstaltungen ins Laufen kamen,
erzielte jede von uns aber dann auch Einnahmen. Die örtlichen Bildungswerke
- von den überörtlichen beteiligte sich zuerst die katholische Regionalstelle
mit einer finanziellen "Ausfallbürgschaft" an der Organisation
unserer Arbeit und später auch das Kreisjugendamt Waldshut - legten die Teilnehmergebühren
fest und bezahlten die Referentinnen. Nach wie vor aber wurden für die Arbeitstreffen
keine Vergütungen bezahlt.
Das gleiche gilt für die "Begleitmaterialien".
Um den Referentinnen die Vorbereitungen zu erleichtern, ein Höchstmaß
an fachlicher Kompetenz zu sichern und in Bezug auf die Informationen eine verantwortbare
Übereinstimmung zu erreichen, erarbeitete ich zu den verschiedenen Themen
einige Texte, deren Inhalte sich an dem jeweils aktuellen Forschungsstand zu diesem
Gegenstand orientierten. Hierbei waren (und sind) mir übrigens entsprechende
Notizen in der Badischen Zeitung recht hilfreich. Einige dieser Texte wurden inzwischen
vom Reinhardt-Verlag für ein Taschenbuch angenommen. Wenn man das in die
Hand nimmt, dann könnte man auf die Idee kommen, es sei von der Badischen
Zeitung gesponsert: sie ist mehrmals erwähnt.
4.
Seit ihrer informellen Gründung hat sich die Zahl der Referentinnen in der
Arbeitsgruppe vergrößert. Inzwischen sind z. B. familientherapeutische
Fachkräfte hinzugestoßen. Auch das Angebot hat sich nach Inhalt und
Zahl vermehrt und weiter ausdifferenziert. Insofern wurde unser Konzept, uns nach
den Bedürfnissen vor Ort zu richten, umgesetzt. Wie groß das Echo war
und wie überraschend viele Eltern diese Angebote wahrnahmen, darüber
kann Herr Rudi Kappeler vom Landratsamt Waldshut, seit einigen Monaten Geschäftsführer
der "Familien GmbH" mit Sitz in der Waldshuter Kaiserstraße, Auskunft
geben. Bei ihm laufen die Fäden zusammen, seit dem die Kreisverwaltung (endlich!)
die Verantwortung für die Elternbildungsarbeit übernahm und diese private
Initiative - auf Beschluss der entsprechenden Gremien - zur eigenen Sache machte.
Ich hatte mich aus Altersgründen zurückgezogen. Die Moderatorin ist
seit etwas über einem Jahr die Sozialpädagogin und Familientherapeutin
Marina Schlosser aus Gurtweil. Mit im Boot befinden sich bisher die katholische
Regionalstelle für Erwachsenenbildung in Waldshut und von Fall zu Fall auch
die örtlichen Bildungswerke.
Ein Faltblatt, das an allen Schulen und
Kindergärten im Landkreis ausliegt und an Elternvertretungen ausgegeben wird,
die enge Zusammenarbeit mit dem Staatlichen Schulamt und den Fachberatern und
Leiterinnen der Kindertagesstätten, sorgte inzwischen dafür, dass dieses
Elternbildungsangebot allmählich bekannt wurde. Hier könnten die Redakteure
und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Ihrer Zeitung vor Ort wertvolle Hilfe leisten.
Ich rege an, dass von den zuständigen Redaktionen zum Beispiel in Bad Säckingen
und Waldshut ein direkter Draht zu Herrn Kappeler und/oder zu Frau Schlosser gezogen
und von Zeit zu Zeit über die Elternbildungsarbeit in unserem Landkreis berichtet
wird. Sicher wird in Kreisjugendhilfeausschusssitzungen über diese Initiative
Auskunft gegeben. Doch die Fülle an Informationen bei derartigen Anlässen
erschweren erfahrungsgemäß "der Presse" die Auswahl. Über
die Bedeutung und die Praxis der Elternbildungsarbeit finden sich dann keine Beiträge.
Vielleicht wird das künftig anders. Ich würde mich freuen. Selbstverständlich
stehe ich für Auskünfte gern zur Verfügung.
Der
Brief blieb ohne Echo.
Vgl. dazu auch die Ausführungen unter
Elternbildung - ein Projekt und was
daraus wurde!